Von der Onlineberatung zu Blended Counseling - Geschichte einer Entwicklung

22.07.2021

Geschichte der EFL-Onlineberatung im Bistum Passau

Also „in line“ war Online-Beratung anfangs wahrlich nicht –
weder in der Diözese Passau noch in anderen Bistümern. Zu groß die Skepsis der Bedenkenträger hinsichtlich der fehlenden „echten“ Begegnung, der Datensicherheit oder nicht ernst gemeinter Zuschriften.
Anfangs - das war 2000 - und es ist den damaligen bayrischen FachreferentInnen zu verdanken, dass sie die Zeichen der Zeit erkannten, geduldige Überzeugungsarbeit leisteten und schließlich mit Zustimmung der Diözesanleitungen beschlossen, eine Würzburger Initiative aufzugreifen und die Beratung im Internet auf die Beine zu stellen.
Im Bistum Passau warb Volker von Edlinger um BeraterInnen, sich auf dieses damals völlig neue Terrain zu begeben und am 8. April 2002 fuhren er und Sabine Bachmeier nach Würzburg zum ersten Treffen der „Internet-Interessierten“ um Erhard Scholl, den Motor der Initiative. Damals ging es etwa um Homepage-Entwürfe, Schutz der BeraterInnen, Schulung und Qualitätssicherung, die Frage nach der richtigen Organisationsform oder um technische Abläufe – es war ja alles so neu und die Gruppe tastete sich Schritt für Schritt vor. Im Nachhinein betrachtet wirkt der Anfang wie die gründliche Vorbereitung auf eine ungewisse Expedition – spannend!

Eines war klar: Onlineberatung war zunächst ausschließlich Mailberatung.
Aber wie werden die Anfragen zugeteilt, wie kann sichergestellt werden, dass die Mails innerhalb von 24 Stunden beantwortet werden oder wie sollen die Formulare ausschauen? Probleme, die 20 Jahre später wirken wie aus einer anderen Welt.
Ausgefeilt ist mittlerweile das Sicherheitssystem, um die Anonymität der BeraterInnen und NutzerInnen zu schützen und auch der anfänglich befürchtete Missbrauch durch nicht ernstgemeinte Zuschriften blieb aus. Im Gegenteil.
Erhard Scholl zeigte sich 2012 in seiner Rede zum zehnjährigen Jubiläum der Onlineberatung beeindruckt von den schweren Problemen und Konflikten, mit denen sich Ratsuchende sehr offen und direkt an die BeraterInnen wenden.
Onlineberatung ist intensiv.
Immer wieder mal diskutiert wurde und wird die Intensität der Begegnung zwischen KlientIn und BeraterIn, doch mittlerweile steht es außer Frage, dass online genauso intensive Kontakte entstehen können wie in der face-to-face-Beratung.
Auch per Mail kann es gelingen, Menschen „Gehör“ zu schenken, versteckte Gefühle zu spüren, ihr Leben zu erleichtern.
Auch per Mail kann es gelingen, das eigene Werden besser zu verstehen und anzunehmen, Beziehungen anders zu betrachten und neue Perspektiven zu entwickeln.
Die Onlineberatung der bayrischen Bistümer steht auf einem religiösen Fundament, das heißt, sie definiert sich in der Rückbindung zu Gott und in der Verbindlichkeit zwischen den Menschen. Onlineberatung will und kann Menschen verbinden durch eine Kommunikation, die zum Wesen der Kirche gehört.

Onlineberatung war nun also „in line“.
Inzwischen hatten sich 2014 mit Margret Döberl und Astrid Reiter zwei weitere Beraterinnen ausbilden lassen, um den Passauer Beitrag zur Onlineberatung der bayrischen Bistümer auf der Plattform von Beranet zu erbringen.
Insofern ist es nur folgerichtig, dass Onlineberatung im Bistum Passau schon sehr früh als integrierter Bestandteil des Beratungsangebotes der EFLB-Stellen mit denselben Qualitätsstandards angesehen wurde.

Betrachtet man Onlineberatung als eine „Dreiecksgeschichte“, so wurden bisher Themen des Trägers und der BeraterInnen umrissen. Mindestens ebenso wichtig ist natürlich die Perspektive der Ratsuchenden.
Für viele Ratsuchende ist die Tastatur ihres Computers die einzige Brücke zur Außenwelt, sei es, weil sie kleine Kinder zu beaufsichtigen oder Angehörige zu pflegen haben, sei es, weil sie selbst krank, behindert oder auch vereinsamt sind. Andere wiederum können das, was ihnen auf der Seele liegt, nicht sagen, aber schreiben und nicht selten hilft die Distanz, tiefsitzende Scham zu überwinden. Manchen bedeutet das Schreiben ein Ordnen und die äußere Ordnung kann dann eine innere Ordnung befördern.

Niederschwellig
Gerade im ländlichen Bistum Passau sind die Wege zu den Beratungsstellen manchmal aus Geld- oder Zeitmangel recht weit und demzufolge ist das niederschwellige Onlineberatungsangebot äußerst hilfreich.
Man kann hier eine Entwicklung beobachten, die sich einerseits abbildet im Laufe der letzten 20 Jahre und andererseits auch während vieler einzelner Beratungen.

Komplexität und Resonanz
Anfänglich schien es nämlich, als würden die Ratsuchenden sehr oft einen Tipp erwarten, eine Art Knopf, den sie dann drücken und mit dessen Hilfe sie ihr Problem lösen könnten. Heute beschreiben viele Menschen ihre Themen von Anfang an komplexer, quasi auf einer systemischen Folie und viele Facetten ihres Lebens miteinbeziehend.
Zum anderen ist in den einzelnen Beratungen immer wieder zu beobachten, dass zunächst eine oder mehrere Fragen der KlientInnen „im Raum“ stehen, die scheinbar einer Antwort harren. Dann entwickelt sich aber daraus ein Prozess aus Fragen und Gegenfragen, aus wiederum erweiternden Fragen und es wird deutlich, dass weniger Antworten, sondern vielmehr Resonanzen den Prozess voranbringen, an dessen Ende zum Beispiel mehr Selbstvergewisserung und Klarheit stehen.
Dieser Aspekt der „Raum-Nutzung“ zwischen und für Menschen beschreibt im Übrigen auch ein Alleinstellungsmerkmal der „personalen, klangreichen Onlineberatung“ gegenüber den quasi „eintönigen“, sich mehr an der Oberfläche bewegenden sozialen Netzwerken.

Chat als quasi-synchrone Kommunikation
Gilt dies alles auch für die Chatberatung, die seit 2016 Einzug gehalten hat in der Onlineberatung der bayrischen Bistümer?
Ja,
denn das Angebot ist niederschwellig und eröffnend. Den Ratsuchenden gegenüber sind versierte BeraterInnen, echte, kongruente, akzeptierende Personen, die Beratungsprozesse leiten und Entwicklungen fördern können.
Nein – oder vielmehr schwierig,
denn es gibt hier die Ambivalenz des subjektiven Gefühls von Beschleunigung und gleichzeitig kann nur ein Bruchteil der Informationsmenge einer face-to-face-Kommunikation transportiert werden. Um im Bild zu bleiben: Der Resonanzraum kann möglicherweise nicht so dicht genutzt werden.
Außerdem entsprechen die notwendigen, das Gespräch strukturierenden Elemente meist nicht der von den BeraterInnen normalerweise genutzten Sprache. Das kann aus Perspektive der KlientInnen gefühlt wenig authentisch wirken. Zum Beispiel müssen die BeraterInnen unter Zuhilfenahme diverser Icons und Akronyme eine nahezu neue Sprache erlernen und passend für User, Beraterin und Beratung anwenden.
Insgesamt scheint manchmal zu wenig Zeit zu bleiben für die Reflexion seitens der Ratsuchenden, da die quasi-synchrone Kommunikation Platz braucht – wieder im Bild gesprochen: der Resonanzraum ist eng.

Neue Mitarbeitende
Elisabeth Sitzberger und Josef Zimmermann verstärken inzwischen das bisher kleine Team für die Onlineberatung auf der Beranet-Plattform - spannend ihre Beiträge im Mentoring Team, weil neue Erfahrungen und Sichtweisen immer erfrischend sind für bewährte Systeme.


Blended Counseling
Um die oben beschriebene Problematik der Chatberatung zu umgehen, bietet sich Blended Counseling an, eine Kombination der verschiedenen Beratungsformen, zum Beispiel Chat- und Mailberatung, Videogespräche, Telefonate und natürlich die Face-to-face-Beratung.
In unterschiedlichen Rhythmen können Chatgespräche zum Beispiel verdichtet werden durch eigene Texte, Tagebuchnotizen, Assoziationen, Gedichte, Reflexionen aller Art. Dadurch wird der Resonanzraum dichter, gewichtiger, tragfähiger, „nachhalliger“, er klingt also länger nach und die KlientInnen können sozusagen ihre eigene Lebensmelodie wieder neu erkennen und weitersummen.
Die Videoberatung birgt weitere Möglichkeiten z. B. hinsichtlich der trialogischen Beratung. Es entsteht aber auch eine eigene Dynamik und es gilt bei der Verknüpfung verschiedener Beratungsformen darauf zu achten, dass Textbausteine, Chatgespräch, Video- und Face-to-face-Beratung in einem zielgerichteten, stringenten, nachvollziehbaren und klaren Duktus bleiben. Die Gefahr der Überlappung, der Verwirrung auf mehreren Ebenen ist nicht auszuschließen und es empfiehlt sich der Ansatz „weniger ist mehr“.

Gut aufgestellt
Hier wird die EFLB im Bistum Passau in naher Zukunft gut aufgestellt sein, der Gesamtleiter Helmut Höfl befördert in Abstimmung mit der Diözesanleitung Blended Counseling, also die professionelle Kombination verschiedener Beratungsformen.
Alle Mitarbeitenden können sich und ihre Fachlichkeit mannigfaltig und spezialisiert einbringen. Ob face-to-face oder online – eine Stärke der EFLB bleibt die dialogische Sensibilität ihrer Mitarbeitenden und der somit entstehende „gut bespielte Resonanzraum“.

Juli 2021
Sabine Bachmeier